Wildwuchs verändert sich. Diese Umordnung braucht Zeit. Ab April haben wir eine neue Website. Bis dahin werden wir Euch hier über die wichtigsten Termine auf dem Laufenden halten. Wir freuen uns auf unser neues Erscheinungsbild und auf das Wildwuchs Festival 2023.

Liebe Unterzeichner:innen

Wir haben Ihren Offenen Brief zur Wahl des neuen Wildwuchs-Leitungsteam erhalten und danken dafür. Gerne nehmen wir zu Ihrem Brief Stellung.

Wir können Ihre Wut und Ihre Enttäuschung über unseren Wahlentscheid nachvollziehen. Wir spüren Ihre Erwartungen an Wildwuchs, aufgrund des langjährigen Engagements für mehr Sichtbarkeit und Teilhabe von Kunstschaffenden mit Behinderungen, bei der Neubesetzung des Leitungsteam Menschen mit Behinderungen zu berücksichtigen. Und ausgerechnet Wildwuchs, für das Sie viel Wertschätzung zeigen, entscheidet sich bei der Wahl des neuen Leitungsteams für ein Trio ohne ein Mitglied mit einer Behinderung.

Ein wichtiges Anliegen ist es, Ihnen zu vermitteln, wie sich Wildwuchs seit seiner Gründung vor 20 Jahren entwickelt hat und welches die Ziele der jetzt begonnenen Transformation von Wildwuchs sind. Wir vermuten, dass viele Unterzeichner:innen das aktuelle Profil von Wildwuchs nicht kennen. Dieses hat sich in den vergangenen Jahren und mit der begonnenen Transformation verändert und wird sich weiter verändern.

Hintergrund: Der aktuelle Transformationsprozess bei Wildwuchs

Wildwuchs hat sich in seiner Geschichte immer verändert und entwickelt. Wichtig war und ist uns, das auszuprobieren und zu tun, was andere nicht oder noch nicht tun. Als kleine Kulturorganisation hatten und haben wir den Anspruch, flexibel, offen, mobil zu sein und kritisch Neues zu denken. Von Anfang an versuchten wir, mit künstlerischen Mitteln die Logik der Ausgrenzung von Menschen mit unterschiedlichen Hintergründen an die Ränder der Gesellschaft zu verstehen, zu zeigen und zu hinterfragen.

Die ersten 5 Wildwuchs Festivals unter der künstlerischen Leitung von Sibylle Ott zeigten künstlerische Projekte von Menschen mit einer Behinderung und Menschen ohne Behinderung. Im Zentrum standen Menschen mit kognitiven Behinderungen, die in Institutionen leben. Viele von ihnen waren geprägt von Erfahrungen des Ausschlusses, Fremdseins, Andersseins.

Schon damals haben wir mit Projekten und in Debatten auf die grosse Diskrepanz zwischen rechtlicher und faktischer Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen, auf ihre andauernde Ausgrenzung und Versorgung in Institutionen am Rande der Gesellschaft und die fehlende Sichtbarkeit in allen Bereichen des öffentlichen Lebens, hingewiesen.

Am 10. Wildwuchsgeburtstag (2011) haben wir in einer sorgfältigen Analyse festgestellt, dass wir mit dem «Behindertenfestival», wie es in der Öffentlichkeit genannt wurde, relativ isoliert waren. Unser Ziel, die Bevölkerung und die kulturinteressierten Menschen der Region Basel für Kunst und Begegnung mit Menschen mit Behinderungen zu begeistern und Vorurteile abzubauen, hatten wir nur teilweise erreicht.

Mit der neuen künstlerischen Leiterin Gunda Zeeb haben wir uns deshalb zusätzlich weiteren Gruppen von Menschen zugewandt, die diskriminiert und ausgegrenzt werden, zum Beispiel alte Menschen, Menschen anderer Herkunft, armutsbetroffene Menschen, Menschen mit chronischen Erkrankungen, Menschen mit unsichtbaren Behinderungen. Wir haben neue Netzwerke erschlossen und immer besser verstanden, wie sehr sich die Muster der Diskriminierungen gleichen, wie ähnlich die dahinterliegenden Mechanismen des Ein- respektive Ausschlusses sind und dass sich diese nur in Solidarität, intersektional und mit einer gemeinsamen Perspektive abbauen lassen.

2018 wurde der Zweckartikel des Vereins Wildwuchs erweitert. Wildwuchs ist neu ein Jahresbetrieb mit laufenden Wildwuchs Unterwegs Projekten und einem biennalen Festival:

Wildwuchs Unterwegs:

- Teilhabeorientiere Projekte mit Menschen, die aus unterschiedlichen Gründen nicht am kulturellen Leben teilnehmen.
- Verbesserung des Zugangs zu Kultur für Menschen aus allen Lebensbereichen und mit unterschiedlichen Hintergründen, um aktiv und gleichberechtigt am kulturellen Leben teilzunehmen.

Wildwuchs Festival:
Ein biennales Festival der zeitgenössischen Künste. Wildwuchs stärkt Aussenseiter:innenpositionen und etabliert kulturelle Vielfalt, Diversität und Nonkonformismus. Wildwuchs experimentiert mit neuen Tanz-, Performance- und Theaterformen und ermöglicht Menschen aus allen Lebensbereichen die volle und aktive Teilnahme am kulturellen Leben – als Zuschauende, Initiator:innen oder Teilnehmende.

2020 hat der Vorstand des Vereins Wildwuchs einstimmig eine grössere Transformation beschlossen, eine Konsequenz aus der beschriebenen Entwicklung von Wildwuchs.

Die Ziele sind:
- Die stärkere Sichtbarkeit von Menschen mit unterschiedlichen Hintergründen und Diskriminierungserfahrungen in den Strukturen der ganzen Organisation.
- Die Umsetzung eines künstlerischen Konzepts, in dessen Zentrum eine nicht hierarchisierende Anerkennung von Menschen in ihrer Verschiedenheit und Einzigartigkeit steht, also eine Gleichberechtigung in der Differenz.
Der Fokus soll nicht auf einzelne von Diskriminierung betroffene Gruppen, vielmehr auf die individuelle Verschiedenheit des einzelnen Menschen gerichtet werden. Wildwuchs möchte Denkanstösse geben, wie Strukturen gebaut sein müssen, die alle Menschen einschliessen – selbstverständlich immer auch Menschen mit Behinderungen. Nicht für Strukturen, die für eine gewisse Zeit eine Gruppe explizit ins Zentrum stellt und dann eine andere. Aber für Strukturen, welche die Einzigartigkeit der Anliegen jedes Menschen dauerhaft und immer gleichzeitig berücksichtigt.

Der Vorstand wurde im Mai 2021 neu besetzt. (Mariann Bühler, Kadiatou Diallo, Bernadette Hauert, Martin Haug (Präsident), Inés Mateos, Alessandro Schiattarella). Ab Februar 2022 wird ein neues Leitungsteam die künstlerischen und administrativen Aufgaben des biennalen Festivals und der teilhabeorientierten Projekte von Wildwuchs Unterwegs übernehmen. Für jede biennale Festivalausgabe wird das Leitungsteam ergänzt durch eine jeweils wechselnde Festivalkuration. Die Kuration prägt das künstlerische Profil des jeweiligen Festivals.

Wildwuchs steht also vor einem Neuanfang: Ein neuer Vorstand, ein neues Leitungsteam, neue Festivalkurator:innen und ein neues künstlerisches Konzept. Ein anspruchsvoller, mehrjähriger Prozess für eine kleine Kulturorganisation mit wenig personellen und finanziellen Ressourcen, die sich ausschliesslich aus Beiträgen der staatlichen und privaten Kulturförderung finanziert.

Einblick in den aktuellen Wahlprozess des neuen Wildwuchs Teams

Auf die Stellenausschreibung für das neue Leitungsteam sind Bewerbungen von vier Trios eingegangen. Die Wahlkommission (Kadiatou Diallo, Martin Haug, Nicolette Kretz, Sus Zwick) hat für die Wahlentscheidung verschiedene Kriterien festgelegt:

Visionen für das neue künstlerische Konzept von Wildwuchs (Festival und Unterwegs), Erfahrung in den aufwändigen administrativen Aufgaben, Praxis in der Planung und Umsetzung der teilhabeorientierten Projekte im Rahmen von Wildwuchs Unterwegs, Zusammenarbeit im Team.

Nach intensiven Diskussionen haben sich die Wahlkommission und der Wildwuchs Vorstand jeweils einstimmig für Hannah Lena Berner, Kapi Kapinga Grab und Katarina Elena Tereh entschieden. Ein diverses Trio, das sich dem Ziel verpflichtet fühlt, Strukturen zu fordern und zu fördern, welche die individuellen Bedürfnisse und die Verschiedenheit von Menschen gleichzeitig und gleichermassen berücksichtigen. Die Kurationsstelle für das Festival 2023 ist noch nicht besetzt.

Ausblick

Das Ziel der nun beginnenden Wildwuchs-Transformation ist es, Diskriminierungs- strukturen übergreifend zu denken und zu thematisieren und menschliche Identitäten ins Zentrum zu stellen. Wir wollen gemeinsam, solidarisch und intersektional für mehr Diversität, Inklusion und Gleichstellung kämpfen.

Wir wollen in den künstlerischen Projekten und Debatten Fragen stellen wie:

  • Welche Schritte braucht es, damit Menschen in ihrer Verschiedenheit als Menschen mit gleichen Rechten erkannt und anerkannt werden?
  • Wie lernen wir, Verschiedenheit auf eine nichtdiskriminierende Weise, vielmehr als ein inspirierendes Potential zu erkennen und anzuerkennen?
  • Wie können wir den Anspruch auf Anerkennung des Menschen in seiner individuellen Einzigartigkeit fordern und fördern?
  • Wie verbinden wir künstlerische Praxis mit der Entwicklung von Institutionen? Wie schauen wir auf ihre Aussenwahrnehmung und ihre innere Strukturiertheit, wie auf die Institution Wildwuchs mit der Frage, was für eine Rolle wir einnehmen wollen?

Wir bedanken uns bei den Initiant:innen des Offenen Briefes für den Impuls und die Eröffnung eines breiten öffentlichen Diskurses in der Schweizer Kulturlandschaft.

Wir können Ihnen versichern, dass der Vorstand und das neue Leitungsteam vor allem eines wollen: Austausch und Zusammenarbeit mit Ihnen, um konstruktive Debatten zu führen und konkrete künstlerische Projekte um die grossen Themen Diversität, Inklusion und Gleichstellung zu planen und umzusetzen.

Wir freuen uns auf den Dialog und die Zusammenarbeit mit Ihnen!

Für den Wildwuchs-Vorstand:

Mariann Bühler
Kadiatou Diallo
Bernadette Hauert
Inés Mateos
Martin Haug

Für die Wildwuchs-Wahlkommission:
Kadiatou Diallo
Nicolette Kretz
Sus Zwick
Martin Haug


Stellungsnahme des Vereins Wildwuchs als PDF